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Vater unser im Himmel

Ziemlich schnell wird uns klar, dass die Kirche in Polen nach wie vor eine sehr grosse Rolle spielt. Alle jungen Pärchen, welche wir kennenlernen, sind entweder verlobt oder schon verheiratet. Egal ob sie erst seit einer, für unsere Verhältnisse, eher kurze Zeit zusammen sind. Gefeiert wird die Trauung traditionellerweise mit der ganzen Familie. Die Braut lädt jeweils ein. Doch wenn schon die Familie des Bräutigams um die 80 Leute sind, dann kann das Ganze schon Schwierigkeiten mit sich bringen. Wo sollen nur schon all die Menschen schlafen? Und woher kommt das Geld um alles zu bezahlen? Zudem dauert so eine Feier nicht einfach nur einen Nachmittag/Abend sondern gleich zwei Tage, inklusive Übernachtung.

Von einem unserer Warmshowers Hosts erhalten wir die Nummer von Vater Thomek. So landen wir zu unserer Überraschung bei einem religiösen Zentrum, in welchem wir nächtigen dürfen. Hier zum Beispiel hätte es genügend Platz für 120 Eingeladene. Es handelt sich nämlich um ein Hotel mit einem riesigen Gemeinschaftsraum. Gleichzeitig mit uns ist tatsächlich auch eine Hochzeitsgesellschaft da. Sie belegen schon alle Zimmer, deshalb schlafen wir in einem Gebetsraum. Hier gibt es auch «Instant-Kruzifixe», falls man den eigenen vergessen hat.

Vor unserer Abfahrt posen wir noch mit Emil, der uns hier sehr herzlich empfangen hat

Vor unserer Abfahrt posen wir noch mit Emil, der uns hier sehr herzlich empfangen hat

Die Leute in diesem Zentrum sind unglaublich freundlich zu uns. Wir kriegen ein riesen Abendessen aufgetischt, Fisch weil Freitag ist. Und später werden wir noch zum Eis essen eingeladen. Geld oder eine Spende wollen sie nicht. Sie sind nämlich auch Radfahrer und freuen sich die Gastfreundschaft zurück zu geben. Auf ihren Touren haben sie jeweils ein bisschen eine andere Mission als wir. Sie wollen vor allem Gott näherkommen. Dies erreichen sie, in dem die Tagesetappen ziemlich hoch gesetzt sind, mindestens 150 km. Wenn man den eigenen Grenzen nahekommt, ist man auch Gott nahe, oder so.

Generell ist bei den Gottesdiensten ist auch ziemlich was los. Manchmal finden am Sonntag zwei Messen statt, damit alle Platz haben oder aber die Leute versammeln sich vor dem Eingang. Wenn nämlich die Nachbarn merken, dass man nicht da ist, gibt dies eine Menge zu reden. So nehmen auch Junge an den Messen teil, nur damit sie nicht zum Dorfgeschwätz-Thema werden. Ist natürlich auch eine Möglichkeit die Kirchenbänke zu füllen.

Nicht alle Polen sind scheu. Frank kreuzt uns und beschliesst uns spontan zu begleiten

Nicht alle Polen sind scheu. Frank kreuzt uns und beschliesst uns spontan zu begleiten

Im Allgemeinen haben wir die Leute auf der Strasse als eher zurückhaltend erlebt. Bei unseren Gastgebern wars jedoch ganz anders. Wir wurden immer herzlich empfangen und an Essen fehlte es nie. Unsere Bäuche wären jedenfalls ziemlich voll als wir an der Tschechischen Grenze ankamen.

...vergiss nicht die Fotos und das Video zu kucken :-)

Kulturschock Nordosteuropa

Kaum über die Grenze zu Ungarn fahren wir auf einem schönen Veloweg. Es gibt wieder Campingplätze und Autofahrer bremsen für Fussgänger wie auch für Tiere; denn die Roadkills haben auch deutlich abgenommen. Während wir uns fragen wo wir hier gelandet sind, flitzen Rennradfahrer in schnittigen Lycra-Tenues an uns vorbei. Jedenfalls scheint Rad fahren hier wieder gross in Mode zu sein, was wir natürlich super finden.

Es gibt wieder relativ gut ausgebaute Radwege

Es gibt wieder relativ gut ausgebaute Radwege

In Ungarn übernachten wir bei so vielen Hosts wie schon lange nicht mehr. Nicht mal jede zweite Nacht verbringen wir auf dem Camping. Es freut uns auf so eine grosse Gastfreundschaft zu stossen.

Über Couchsurfing schreiben wir zwei Leute an welche in unterschiedlichen Orten wohnen. Es stellt sich aber heraus, dass sich die beiden kennen und zu dieser Zeit gemeinsam in der Ukraine sind. Also organisieren sie für uns einen anderen Host in einem anderen Dorf. So kommt es, dass wir bei Jonas und seinem Bruder landen. Die beiden Teenager erfreuen sich an unserem selbstgekochten Curry, dies sei doch viel besser als Cornflakes. Auch können sie sich nicht daran erinnern, jemals so viel Gemüse auf einmal gesehen zu haben. Umso besser wenn’s trotzdem schmeckt. Um den Abend etwas spassiger zu gestalten, spielen wir das altbekannte Trinkspiel «Meier», hierzulande «Meja». Nur dass unser Host nicht trinkt (temporär, wegen einer Wette), also muss eine andere Bestrafung her. Jeder, der verliert, muss ein Stück Chilischote essen. Eine scharfe Angelegenheit. Zur Abkühlung hat er immerhin noch etwas Joghurt und Brot bereit. Als die Chilischote endlich fertig gegessen ist, gehen die beiden Jungs ins Bett. Zehn Stunden Schlaf müssen es mindestens sein. Als wir uns am nächsten Tag auf den Weg machen, sind die beiden jedenfalls noch im Tiefschlaf.

Der Innenhof bei unseren Gastgebern

Der Innenhof bei unseren Gastgebern

In Budapest surfen wir wieder auf einer Couch, respektive auf einem Bett. Unsere Hosts sind beide sehr an Politik und anderen aktuellen Themen interessiert. So finden wir heraus, dass Andreas auch schon übers Auswandern nachgedacht hat. Aber aus einem unterschiedlichen Grund als anderswo, nämlich dass er sich nicht mit der rechtspopulistischen Politik des Landes identifizieren kann. Am liebsten möchte er gar nichts mehr mit dem Land zu tun haben. Als Beispiel nennt er uns bspw einen Abend bei seiner Familie, welche vor Jahren aus Rumänien eingewandert ist. Stammtischparolen über Migranten, welche zu tausenden in Ungarn einwandern und von der Wirtschaft profitieren wollen. Als Andreas nebenbei bemerkt, dass sie doch auch Wirtschaftsflüchtlinge waren, wird es  still am Tisch…